Berlin. Wannsee. Freitag Nachmittag. Schon beim Aussteigen aus dem Auto stellen sich die Nackenhaare auf und und die Mundwinkel ziehen sich von selbst nach oben. Beim Blick Richtung Wasser wird klar, dass die nächsten drei Stunden eine Menge Spass bringen werden. Dafür hat sich die Anreise aus Kiel gelohnt. Die Anderen sind auch schon da, schauen gespannt auf das Schiff, das keiner von uns bisher gesegelt ist.
Es ist schon ein paar Monate her, es herrschte gerade Startverschiebung bei der Kieler Woche als Robert Heymann und ich vor der Sailors Lounge im Sitzsack lümmelten und die Idee zur Teilnahme an der Deutschen Segelbundesliga aufkam. Ein völlig neues Segelformat. Es geht nicht mehr um den einzelnen Segler oder die einzelne Mannschaft, nein, man vertritt die Vereinsfarben und segelt gegen andere Segelclubs. Kurze, knackige Rennen, die maximal 15min dauern, 15 Wettfahrten pro Liga Wochenende, identische Boote, die vom Veranstalter gestellt werden. Das sind die Eckdaten einer Regattaserie, die jetzt im 2. Jahr stattfindet.
Im 3. Jahr wollen auch wir dabei sein, so jedenfalls die Idee von Robert und mir. Als im August die Ausschreibung für die Qualifikation zur 2. Segelbundesliga in mein E-Mail Postfach flatterte, wurde die Idee konkreter. Es galt nun ein Team zu formieren. Vier Segler benötigen wir auf jeden Fall, ein oder 2 Ersatz wären auch nicht schlecht. Also fing ich an zu überlegen, wer Lust darauf haben könnte, uns zu unterstützen. Fünf Mails später stand das Team schon so gut wie fest: Robert Heymann, Thomas Schüler, David Greiner, Maren Werner, Franziska Heinsohn und ich. Nach weiteren zwei Mails war klar, dass wir nicht naiv ohne einmal zusammen auf dem Boot gesessen zu haben, zur Qualifikation fahren werden. Also wurden alle Terminpläne übereinander gelegt, um ein gemeinsames Training zu organisieren. Neben Datum und Ort musste auch die Frage geklärt werden, wo wir ein Boot chartern können, um darauf zu segeln. Die J70 Klasse ist relativ neu, sodass die Boote nicht wie Sand am Meer zur Verfügung stehen. Dankenswerter Weise hat der Berliner Yacht Club, der bereits in der 1. Segelbundesliga startet und eine vereinseigene J70 besitzt, sich bereit erklärt, uns ihr Schiff zur Verfügung zu stellen. So trafen sich dann am vergangenen Freitag Robert, David, Maren und ich zum Training am Wannsee.
Die „Jukebox“ liegt noch auf ihrem Trailer. In dieser Position lässt sich noch nicht erahnen, wie viel Kraft sie uns in den nächsten dreieinhalb Stunden rauben, gleichzeitig aber auch wahnsinnig viel Freude machen wird. Noch auf dem Steg werden die Positionen an Bord verteilt. Robert steuert, David fährt Großsegel und Gennaker, Maren bedient die Fock und ich werde neben diverser Vorschiffaufgaben in erster Linie Strategie und Taktik übernehmen.
Geschützt von der Abdeckung hoher Bäume laufen wir aus. Es dauert allerdings nicht lange bis die erste Böe das Schiff erfasst und das Gefährt uns unmissverständlich zu verstehen gibt, dass es ein Sportgerät ist und auch als solches behandelt werden möchte. Das heißt in erster Linie, Gewicht zu machen. Und so finden sich Maren und ich kurzerhand mit gestrecktem Oberkörper über dem Seezaun hängend wieder, als wir plötzlich „Klar zur Wende“ von Steuermann Robert wahrnehmen. Die „Jukebox“ reagiert wie eine Jolle. Kein Anzeichen von Trägheit ist zu spüren. Das Team muss sich allerdings erst noch an die Anordnung der Blöcke, Schoten und sonstiger Stolperfallen gewöhnen und so ist es nicht verwunderlich, dass die ersten Manöver alles andere als glatt verlaufen. Nach und nach, nach unzähligen weiteren Wortmeldungen des Steuermanns bezüglich eines Richtungswechsels gen Wind werden wir sicherer in unseren Bewegungen, sodass wir uns dem nächsten Kapitel widmen können, dem Vorwind.
Gennaker vorfüttern, Baum ausfahren, auf Vorwindkurs abfallen, Tagleine ziehen, Gennaker setzen, Fock wegdrehen – soweit die Theorie. In der Praxis haben wir jetzt eine ziemliche Eieruhr gebaut, der Gennaker steht auf halb acht und die Fock schlackert auch noch umher. Zum Glück ist Stefan vom Berliner Yachtclub mit an Bord, der uns in unfassbarer Ruhe immer wieder erklärt, was zu tun ist. An dieser Stelle sei ihm nochmal ein ausdrückliches Dankeschön ausgesprochen! Nach Beseitigung der Baustellen passiert jetzt auch das, worauf ich mich schon die ganze Zeit gefreut habe: Das Schiff hebt mit dem Einfall einer Böe den Bug, links und rechts am Heck schäumt das Wasser an uns vorbei und wir rasen in Richtung Strandbad. Unglaublich wie schnell das Schiff, immerhin ein Kielboot, ins Gleiten kommt. Der riesige Gennaker mit 45 Quadratmetern Segelfläche sorgt für ordentlich Vortrieb. David bemerkt, dass seine ehemalige Wohnung ähnliche Ausmaße hat. Zum Ausruhen bleibt allerdings keine Zeit. Immer wieder schaue ich nach hinten, um Robert und David die einfallenden Böen vorherzusagen, sodass sie sich voll und ganz auf das Steuern und Trimmen konzentrieren können. „Klar zur Halse,“ ach ja stimmt, wir sind ja nicht zur gemütlichen Ausfahrt hergekommen und so reiht sich ein Manöver an das andere. Wir werden immer sicherer, sodass wir auf der nächsten Kreuz sogar schon taktische Elemente wie das Treffen der Layline zur Luvmarke einbauen.
Nach dreieinhalb Stunden Training, die Dämmerung setzt langsam ein, kreuzen wir zurück zum Berliner Yacht Club. Bis zum letzten Manöver herrschst volle Konzentration. Auch in der Abdeckung sind wir noch im „Race Modus,“ es gilt auch Wenden bei wenig Wind möglichst ohne Geschwindigkeitsverlust zu meistern. Die Muskeln brennen, uns allen ist eine freudige Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Das Bier bei der abschließenden Manöverkritik mit Stefan schmeckt so gut wie lange keins.
In knapp vier Wochen, am 10. Oktober, startet die Relegation zur 2. Segelbundesliga 2015. 54 Teams wollen daran teilnehmen, sechs Teams aus der aktuellen Saison müssen zudem in die Relegation. Insgesamt kämpfen in Glücksburg also 60 Clubs um sechs Startplätze. Robert bemerkt treffend, dass die Chance im Lotto zu gewinnen, geringer ist. Die Faszination ist bei allen ungebrochen. Wir fiebern auf dieses Wochenende hin, wenn das nötige Quäntchen Glück auf unserer Seite ist, ergattern wir vielleicht einen Platz unter den ersten sechs.
Goode Wind!
Florian Mewes